«Schwule und Lesben waren anfanglich gegen die Ehe fur alle»
Er bezieht sich weniger auf die Ehe als auf die Homosexualitat an sich
Vor 20 Jahren haben die Niederlande als erstes Land der Welt die gleichgeschlechtliche Ehe ermoglicht. Der Soziologe Gert Hekma uber die damalige Debatte, die unmoglichen Vorbehalte der Gegner und den Traum von der multiplen Elternschaft.
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Herr Hekma, die Schweiz stimmt bald uber die Ehe fur alle ab – 20 Jahre nachdem die Niederlande sie eingefuhrt haben. Gegnerinnen wenden ein, die Ehe sei eine «naturliche Verbindung von Mann und Frau». Kommt Ihnen das bekannt vor?Es ist ein alter Einwand. Als in den Niederlanden 1993 das Gesetz gegen die Diskriminierung von Homosexuellen erlassen wurde, warnten Angehorige der Kirche und Mitglieder von konservativen und christlichen Parteien vor der Gefahr, die von Homosexuellen ausgehe. Sie argumentierten mit der Bibel und der Natur: Ein Mann sei ein Mann, eine Frau sei eine Frau, und Mann und Frau gehorten zusammen.
Sie wollen die Ehe als Verbindung von Mann und Frau schutzen
Ein Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei befurchtet sogar: Werde die Ehe geoffnet, gelte irgendwann die Beziehung zu einem Tier als Ehe.Wenn es um Schwule geht, gibt es immer Leute, die eine Verbindung zu Tieren herstellen. Homosexualitat wird mit Sodomie gleichgesetzt.
Warum ist das so?Im Europa des 18. Jahrhunderts bedeutete Sodomie sexuelle Handlungen, die als widernaturlich und pervers angesehen wurden. Sodomie war ein Begriff fur anal-sexuelle Handlungen von Mannern mit Mannern, mit Tieren und auch mit Frauen. Solche Handlungen wurden in christlichen Landern mit dem Tod bestraft. Mit der Zeit hat sich die Bedeutung verandert. Heute wird unter Sodomie im deutschen Sprachgebrauch Sex mit Tieren verstanden, im englischen Raum Analverkehr. Hinter beiden Bedeutungen steckt die Vorstellung, dass Sex nur der Fortpflanzung dienen darf, dass also nur heterosexueller, koitaler Sex naturlich ist.
Gert Hekma, geboren 1951, ist Anthropologe und Soziologe. Von 1984 bis 2017 unterrichtete er LGBTQ Studies an der Universitat in Amsterdam. Hekma hat zahlreiche wissenschaftliche Artikel und Bucher uber Homosexualitat publiziert, darunter «Homoseksualiteit in Nederland van 1730 tot de moderne tijd» («Homosexualitat in den Niederlanden von 1730 bis in die Neuzeit», 2004) und «A Cultural History older women dating of Sexuality in the Modern Age» (2011). Hekma beschaftigte sich hauptsachlich mit den verschiedenen Formen von Sexualitat und Praktiken wie Sadismus, Bondage, Sodomie. Er lebt mit seinem Ehemann in Amsterdam.
Warum halt sich diese Vorstellung so hartnackig?Weil die Vorstellung des Naturlichen fur das abendlandische Verstandnis von Sexualitat grundlegend ist. Sexualitat beruht demnach auf genetischen Auspragungen, auf Hormonen, sie dient der Erhaltung des Menschen. Diese Perspektive ist aber sehr verengt. Sie macht es schwer, Sexualitat und Sexualpraktiken anders zu betrachten – historisch, kulturell. Der Schweizer Hutmacher Heinrich Hossli war einer der ersten Manner in Europa, die die Homosexualitat verteidigten. In seinem Buch «Eros – Die Mannerliebe der Griechen» versuchte er 1836 herzuleiten, dass die Liebe zwischen zwei Personen des gleichen Geschlechts genauso naturlich ist.
Wie argumentierte er?Hossli bezog sich auf die alten Griechen, die verschiedene Formen von Mannerliebe kannten. Er schrieb, wenn eine Hochkultur wie die Antike die Mannerliebe akzeptiert habe, konne diese Liebe nicht unsittlich sein. Mit Hossli begann die Tradition, Homosexualitat als eine von verschiedenen moglichen Formen der Sexualitat zu denken. Aber viel alter und starker ist die Tradition, homosexuelle Menschen als widernaturlich anzuprangern und homosexuellen Sex verbieten zu wollen.
Glauben Sie, den Gegnern der Ehe fur alle geht es im Grunde darum, Homosexualitat zu verbieten?Ja. Leute, die mit der Natur argumentieren, sind homophob. Und sie wollen die Heterosexualitat schutzen, indem sie sagen, nur Heterosexuelle konnen Kinder zeugen und Familien grunden.